Aktuelles

Arbeitspapier

park postkolonial auf der Harburg Schlossinsel

der Initiativgruppe park postkolonial

11.12.2007

von:

Jokinen

Marcel Kreykenbohm

Heiko Möhle

Manuel Sarrazin, MdHB

Gordon Uhlmann

Henning Wiegers

Hinführung: Postkolonial - eine Debatte für eine moderne Weltstadt

Hamburg ist heute - wie auch schon in den vergangenen Jahrhunderten - eine Welthafenstadt. Gerade der durch die globale Arbeitsteilung verursachte Boom macht den Hafen auch wieder mehr zum Symbol und Identitätspunkt für die ganze Stadt. So wie heute, war der Hafen immer ein Kaleidoskop von Waren und Menschen, von Schiffen und Geschichten aus der ganzen Welt.

Der Hamburger Hafen und das Hamburger Umland hätten sich ohne den Kolonialhandel insbesondere des 18. und 19. Jahrhunderts nicht so entwickelt, wie sie heute sind. Das Hafengebiet, ganze Stadtviertel und Elbinselbereiche, die Speicherstadt, die Kontorhäuser oder besonders prägnant der Harburger Binnenhafen um die Schlossinsel (damals noch zu Hannover bzw. Preußen gehörig) wurden passend für den Vertrieb und die Verarbeitung von Kolonialwaren ausgerichtet. Hamburger handelten in großem Stil mit Kolonialwaren, waren auch am transatlantischen Dreieckshandel mit Sklaven beteiligt und stellten ihre Schiffe für koloniale "Expeditionen", Eroberungszüge und Truppentransporte zur Verfügung. Gleichzeitig betrieb Hamburg Kolonialpolitik: Hamburgische Geschäftsleute und Politiker waren wesentlich an der Ausrufung deutscher "Schutzgebiete" beteiligt, die Hamburger Universität wurde zunächst als Kolonialinstitut gegründet.

Auch in den erst 1937 eingegliederten Stadtgebieten haben Geschäftsleute - wie in Wandsbek Heinrich Carl Schimmelmann und in Harburg u.a. Gottlieb-Leonhard Gaiser - mit der Verarbeitung tropischer Rohstoffe ihre kolonialen Spuren hinterlassen.

Aber auch koloniale Militärgeschichte wurde von Hamburg aus geschrieben. Nur einige von vielen Beispielen: Hamburger Investitionsinteressen trugen zum Völkermord an den Herero und Nama im Jahr 1904 im damaligen Deutsch-Südwestafrika bei. In Wandsbek und Harburg exerzierten Einsatztruppen, die im "Boxeraufstand" in China eingesetzt wurden. In Hamburg wurden noch lange etwa Hermann von Wissmann oder Hans Dominik geehrt und der Tod der in Kolonialkriegen eingesetzten deutschen Soldaten als nationale Heldentat gefeiert.

Die kolonialen Spuren im Stadtbild Hamburgs und Harburgs sind zahlreich und doch werden sie zumeist übersehen oder verdrängt. Dabei gehört die Auseinandersetzung mit diesen Zeichen zu einem ganzheitlichen Verständnis unserer Stadt als Hafen- und Welthandelsstadt. Und ebenfalls gehören diese markanten Spuren zum Verständnis der bahnbrechenden industriellen Entwicklung Harburgs auf der Grundlage der Verarbeitung von kolonialen Rohstoffen wie auch zur Entwicklung und Gestalt beispielsweise Wandsbeks, Blankeneses, Altonas, der Innenstadt und des gesamten Unterelberaums.

Wer heute verstehen will, warum viele Menschen die Globalisierung als ungerecht wahrnehmen, wer den Wurzeln des heute wieder zunehmenden Rassismus in unserer Gesellschaft nachspüren will, der kommt nicht an einer Aufarbeitung der Kolonialgeschichte vorbei. Europäische Gesellschaften stellen sich dieser Debatte. So wird in England gegenwärtig die Bedeutung des Sklavenhandels für die Entwicklung des Landes diskutiert, und französische Städte wollen ihre Rolle in der Kolonialzeit neu bewerten. Weltweit hat die UNESCO eine Kampagne zum Gedenken an den Sklavenhandel der Vergangenheit und zur Abschaffung der Sklaverei derzeit gestartet. Die gegenwärtige Phase der Globalisierung, die uns über verdichtete Weltverkehre, Warenströme und Kommunikationsmedien näher zusammenführt, liefert auch viele Gründe, uns mit unserer gemeinsamen Geschichte als Weltgeschichte auseinanderzusetzen. Hamburg ist seit dem 16. Jahrhundert als Welthandelsstadt nach Übersee gerichtet. Deswegen gehört Hamburg in die Reihe der wesentlichen Förderer und Impulsgeber dieser Debatte. Hamburg soll in diesem Sinne ein Ort sein, der Vergangenheit und Gegenwart verbindet und die Diskussion über Erinnerungen beflügelt, um zukunftsweisende Wege eines fairen Nord-Süd-Austauschs zu öffnen.

 

Ein Magnet postkolonialer Debatten und Diskurse

Mit öffentlichen Veranstaltungen, Bildungskonzepten für Schulen und Kunstprojekten im öffentlichen Raum haben verschiedene Organisationen und Einzelpersonen schon auf Hamburgs Kolonialgeschichte aufmerksam gemacht. Nach diesen Initiativen ist klar geworden, dass wir diese als Impulse für eine langfristige Auseinandersetzung mit diesem weitgehend vergessenen und verdrängten Kapitel unserer Stadtgeschichte nutzen müssen. Wir schlagen ein Projekt im öffentlichen Raum vor, in dem anhand von fassbaren und erlebbaren materiellen Spuren und Geschichten Reizpunkte zum Nachdenken über Vergangenheit und Gegenwart gesetzt werden, als Ausgangspunkte für die Wahrnehmung anstehender Zukunftsfragen.

 

Der naheliegende und geeignete Ort:

Geschichte und Gegenwart auf der Harburger Schlossinsel

Die Schlossinsel und der Harburger Binnenhafen sind in ihrer heutigen Gestalt ein Ort, an dem sich einzigartig die Veränderungen durch die Industrialisierung - eng verknüpft mit dem kolonialen Handel - darstellen und erklären lassen. Doch ist hier die weltweit verflochtene Geschichte eines der bedeutendsten deutschen Industriestandorte des 19. und 20. Jahrhunderts weitgehend in Vergessenheit geraten. Wir brauchen eine lokalhistorische Auseinandersetzung, welche die Weltbezüge einbezieht und in den Blick nimmt, dass Harburg im 19. Jahrhundert einer der größten Verarbeitungsorte für die Kolonialwaren Palmöl und Kautschuk in Europa war.

Der frühe "Sprung über die Elbe" der Hamburgischen Kaufleute im 19. Jahrhundert war eng verbunden mit ihrer Beteiligung am kolonialen Welthandel. Nicht selten wurden diese Handelsinteressen mit militärischer Gewalt durchgesetzt. In Harburg wurde die kolonialmilitärische Tradition dadurch unterstrichen, dass die Pionierkaserne auf dem Schwarzenberg nach Hans Dominik benannt wurde.

Die Schlossinsel und der Binnenhafen sind ein einzigartig erfahrbarer und begehbarer Raum, der zum Vorbild für eine zeitgenössische Auseinandersetzung mit dem Thema Kolonialismus werden kann, das derzeit international stetig an Bedeutung gewinnt. Mit einem anregenden und beteiligungsorientierten kulturellen Magneten kann die Schlossinsel zu einem attraktiven städtischen öffentlichen Raum werden. Hier sollen ab dem Jahr 2013 Kunst, Kultur und Bildung stattfinden, die eine Auseinandersetzung mit dem Gestern und Heute der Welthandelsstadt Hamburg, der Industriestadt Harburg und des Unterelberaums anstoßen.

 

park postkolonial: Erleben, erfahren, verändern - draußen und drinnen

Wir konzipieren den park postkolonial als einen Impulsgeber, um Geschichten zu erzählen, Erinnerungen wachzurufen und zu diskutieren. Als einen Ort zum sinnlichen Begreifen von Geschichte und Gegenwart und einen Ort, an dem auch eigene Objektfunde, Empfindungen und Reflexionen eingebracht werden können. Der park postkolonial ist beteiligungsorientiert und prozessual. Er lebt von Diskursen in unserer Gesellschaft, in unserer Stadt.

In Hamburg lagern alte Kolonialdenkmäler in Kellern und an versteckten Orten. Sie sind in ihrer Art einmalig. In ihnen verdichten sich Bilder und Mythen der Begegnung und (Handels)beziehungen mit anderen, "fremden" Kulturen. Kunst im vorgesehenen Projektkontext kann diese alten Bilder reflektieren, die mit ihnen verbundenen Mythen hinterfragen und neue, spannende Ansichten und Einsichten ermöglichen.

Die Denkmäler sind Symbole und Sinnbilder unserer "weißen" Kultur in der Begegnung mit dem "Fremden" und "Anderen", und sie sagen mehr über uns Europäer aus als über die "fremden" Kulturen. Im Park auf der Harburger Schlossinsel wird ein Areal konzipiert, in dem diese Monumente aufgestellt werden als ein Beitrag zur kritischen Auseinandersetzung. Das Wissmann-Denkmal und das Dominik-Denkmal (beide z.Zt. im Keller der Sternwarte Bergedorf eingelagert) sowie das "Deutsch-Ostafrikaner-Ehrenmal" (in Hamburg-Aumühle) kommen hierfür in Frage.

Kunstschaffende aus Hamburg, Afrika und den europäischen Metropolen werden eingeladen, mit den im park postkolonial aufgestellten Kolonialdenkmälern zu arbeiten. Dieser Prozess zielt auf Perspektivenwechsel, Irritationen und Brüche in den visualisierten Hierarchien, ergänzt durch weitere Transformationen.

Den BesucherInnen bieten sich auch von eigenen Sockeln aus neue An- und Einsichten auf die Kolonialmonumente. Und - eingeladen zu performativen Aktionen - formen lebende Körper der BesucherInnen neue, temporäre Monumente gegen imperiale Zeichen. Die kreativen Annäherungen eröffnen neue Wahrnehmungsweisen mit Zugängen auch zur Geschichte der Denkmäler und ihrer Erinnerungstopographie zwischen Afrika und Hamburg. Infomedien sorgen für weitere Zugänge.

Der park postkolonial bringt vergessene Geschichte im Binnenhafen wieder ans Licht. In einem Wahrnehmungsrundgang können einmalige Orte in Harburg wiederentdeckt werden. Wie das älteste Hafengebäude im Bundesland Hamburg, das "Kaufhaus" von 1826/27 am Harburger Kaufhauskanal, die Geschichte des Palmspeichers oder die markanten Spuren der Industrialisierung in der Struktur des Areals selbst und vieles mehr. Ein System von Zeichen in der gesamten Umgebung kann das Ausmaß des Gesamtraums der Industrieproduktion von Kolonialwaren deutlich machen.

Harburg wird mit einem Aussichtspunkt auf dem Dach des Schlosses, über eine Wendeltreppe an der Seite des Gebäudes wie schon vor einigen Jahrhunderten jederzeit öffentlich zugänglich oder analog zum HafenCity-Aussichtspunkt gestaltet, um eine Attraktion reicher. Aber gleichzeitig sollen die Bezüge zwischen diesen Landmarken und den überseeischen Ländern deutlich gemacht werden. Auf Tafeln werden Hinweise zu den fernen Orten lesbar, so: Lagos, Marina und Daressalam in Afrika, Qingdao in Asien und Valparaiso in Südamerika. Postkoloniale Stadtpläne und Karten des Binnenhafens sollen die Besucher mit der Topographie des Ortes vertraut machen, zu bisher versteckten Orten führen und einen Überblick über die Vielzahl der Bezüge von Orten im Binnenhafen in Länder des Südens bieten.

Der park postkolonial ist verknüpft mit einer Internetpräsenz. Sie informiert über das Anliegen des Parks und aktuelle Kontexte, macht topographische Ansichten und historische Dokumente zugänglich, bietet ein Forum für Debatten und stellt auch Unterrichtsmaterial zur Verfügung. Ein Vorbild hierfür ist die Internetpräsenz von www.afrika-hamburg.de der bildenden Künstlerin Jokinen.

 

Leitthema: Die Rohstoffe Palmöl und Kautschuk

Im erhaltenen Schlossflügel sollen in zwei Räumen Kunst, Ausstellungen, Workshops, Veranstaltungen und ein kleines Archiv untergebracht werden. Ausgehend von den Rohstoffen Kautschuk und Palmöl wird die Thematik von Kolonialgeschichte, postkolonialen Räumen und Globalisierung vermittelt.

Die aufgenommenen Fragen ergeben sich vor allem aus den Impulsen der Menschen, die den Park besuchen: Harburgerinnen und Harburger und andere, die etwa von den Landungsbrücken per HADAG-Fähre zum Park Postkolonial auf der Schlossinsel fahren, WissenschaftlerInnen und Kunstschaffende und Schülerinnen und Schüler aus der ganzen Stadt. Sie alle sollen an neuen Fragen, neuen Zusammenhängen, neuen Erkenntnissen arbeiten und diese dokumentieren.

Ergänzend kann - unter Einbeziehung einer historischen Schute im Überwinterungshafen - deutlich gemacht werden, welche Waren wie von wem über Tausende von Kilometern per Hochseeschiff transportiert, dann zumeist zwischen Elbe und Köhlbrand verladen auf Schuten und Leichtern auch bis auf die Schlossinsel geschafft wurden.

Der park postkolonial schafft einen kulturellen Magneten und bringt ein Vorzeigeprojekt für die an Bedeutung gewinnende postkoloniale Debatte in Europa nach Harburg, auf den dafür geeigneten Ort, nicht aber den einzigen im Stadtgebiet Hamburg und an der Unterelbe.

 

Auseinandersetzung mit der Industriearbeit Harburgs und ihren globalen Bezügen

Der park postkolonial in Harburg hat Bedeutung für die Auseinandersetzung mit postkolonialen Räumen in Hamburg und dem gesamten Unterelberaum. Harburgerinnen und Harburger, Hamburgerinnen und Hamburger und Besucherinnen und Besucher gehen nach einem Besuch im park postkolonial mit anderen Augen durch Glückstadt, Elmshorn, Stade, Altona, Hamburg, Wandsbek oder Harburg. Gemeinsam mit Projekten an anderen Orten kann er viele Gedanken und Debatten anstoßen. Er ist eine Heimat für Auseinandersetzung, Erinnerung und Gedenken.

 

Wo findet man mehr und wie geht es weiter?

Die Initiatoren setzen sich für das Konzept für einen park postkolonial auf der Harburger Schlossinsel ein. Die Bevölkerung, Kunstschaffende, Historikerinnen und Historikern, Architektinnen und Architekten, Museumsmacherinnen und Museumsmachern, die Politik und viele andere sind eingeladen, es weiter zu entwickeln. Spätestens zur Internationalen Bauausstellung auf der Schlossinsel in Hamburg-Harburg soll dieser Prozess zu einem sichtbaren Ergebnis gebracht worden sein.

Es gibt viele weitere Entwicklungsmöglichkeiten: Ob mit Blick auf ein lokales Forschungsprojekt Postkolonial, ein deutsch-afrikanisches Künstleratelier oder Zentrum für wissenschaftlichen Austausch zwischen Hamburg und Afrika: Der Park bleibt nicht statisch, sondern entwickelt sich weiter mit vielschichtigen Beteiligungsformen.

 

 

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